2023 I Redebeitrag zum CSD Stendal

Rede zum CSD Stendal am 30. September 2023


Liebe Demonstrant*innen, wie ihr sicher mitbekommen habt, steht das Straßenfest im Anschluss an die CSD-Demonstration heute nicht unter dem Schutz des Versammlungsgesetzes, gilt offiziell als “Veranstaltung”.

Was bedeutet das? Um einen öffentlichen Platz für ein Abschlussfest nutzen zu können, müssen CSD-Organisator*innen in Sachsen-Anhalt, so wie jetzt in Stendal, einen Extra-Antrag bei der Stadt stellen und um Erlaubnis bitten. Sie müssen möglicherweise erhebliche Sondernutzungsgebühren bezahlen, sie müssen Absperrungen selber organisieren und bezahlen und vor allem müssen sie ihren Schutz vor Übergriffen selbst gewährleisten. Es gibt dann kein Recht auf Schutz durch Polizei. Wisst ihr, was es kostet, ausreichend Security-Mitarbeiterinnen für so einen Tag zu mieten?

Warum all das? Die für solche Fragen zuständige Versammlungsbehörde in Stendal ist der Auffassung, dass es nicht politisch genug ist, wenn queere Menschen sich und das Leben auf dem Marktplatz feiern. Dass es angeblich kein Beitrag zur sogenannten “Meinungsbildung” darstellt, wenn bei einem CSD Konzerte und Musik gespielt werden, wenn Infostände Queers über ihre Rechte, ihre Möglichkeiten und ihre gesundheitliche und psychosoziale Versorgung informieren.

Aber all diese Dinge brauchen wir, weil wir noch immer in einer Welt leben, die Queers viel zu oft eben kein schönes Leben gönnt! Die Infostände brauchen wir, weil queere Menschen aufgrund von Queerfeindlichkeit noch immer unter einer schlechteren psychischen und körperlichen Gesundheit leiden. Wir wissen: Jeder dieser Infostände und alles, was heute Frohsinn verstrahlt, offene queere Präsenz hochleben lässt, die out ist und sich nicht schämt, alles das ist zutiefst politisch.

Und obwohl alle diese Dinge eigentlich für eine Selbstverständlichkeit stehen, stehen sie eben doch auch für eine Meinungsäußerung. Es ist die Meinung, dass queeres Leben gleiche Rechte verdient. Schlimm genug, dass das eine “Meinung” ist, kein unumstrittener Fakt! Die vor einer Woche vorgestellte, regelmäßige “Mitte”-Studie zeigt: Hass auf LGBTI nimmt in Deutschland noch zu, und zwar massiv! Gleiche Rechte für LGBTI, das ist nicht nur im ländlichen Sachsen-Anhalt eine Meinung – und zwar, weil die gegenteilige Meinung so präsent ist, so brutal vorgeht, so tief verankert ist in den Köpfen. Nach allem, was wir wissen, konnte kein einziger CSD in diesem Jahr in Sachsen-Anhalt ohne Zwischenfälle mit Queerfeindinnen, ohne Übergriffe laufen. Kein einziger! In mehreren Städten wie in Wernigerode und Weißenfels kam es zu erheblichen
Übergriffen und Anfeindungen durch Neonazis, zu fliegenden Wurfgeschossen. In Dessau-Roßlau bedrohten zwei Ordnungsamtsmitarbeiter zwei CSD-Teilnehmer. In Halle verletzten Queerfeinde bei einem Angriff drei Personen leicht und eine Person schwer. In Magdeburg pöbelten “Reichsbürger” herum und zeigten den Hitlergruß.


Als antifaschistische Vernetzung reden wir heute zu euch, weil es gegenwärtig in Sachsen-Anhalt vermehrt zu Verstößen gegen die Versammlungsfreiheit kommt. In Salzwedel stellten sich die Behörden in diesem Jahr auf den Standpunkt, dass ein jährlich stattfindendes antirassistisches Straßenfest ebenfalls keine Versammlung sei. Die Begründungen dafür lauteten ganz ähnlich wie die, die die Organisatorinnen des CSD Stendal in diesem Jahr postalisch erhalten haben. Die Ausrichterinnen in Salzwedel zogen schließlich bis vor das Oberverwaltungsgericht in Magdeburg – und unterlagen.

Und: Als der Innenausschuss des Landtags in der vergangenen Woche zu der verheerenden CSD Bilanz des laufenden Jahres tagte, verteidigte das Innenministerium die Herausdefinition des CSDStraßenfestes in Stendal aus dem Schutz des Versammlungsrechts mit diesem Urteil des Magdeburger Gerichts. Hinzu kommt, dass die Behörden Anfang August auch eine Kundgebung massiv behinderten, die sich gegen das jährliche Sommerfest der Jungen Alternative Altmark, der Jugendorganisation der AfD, richtete. Protest in Sicht- und Hörweite, eigentlich ein Grundrecht, wurde durch Versammlungsbehörde, Gericht und Polizei verunmöglicht, Journalistinnen wurden massiv an der Pressearbeit gehindert. Hier war es interessanterweise die ja tatsächlich existente Gefahr, die von den Teilnehmerinnen des JA-Sommerfestes ausging, einer sogenannten “Veranstaltung”, mit der die Einschränkung der Versammlungsfreiheit der Nazi-Gegnerinnen begründet worden ist. So schnell lässt sich Recht also anders auslegen – vorausgesetzt, der politische Wille ist da.

Die Konsequenzen dieses ganzen Vorgehens gegen die Versammlungsfreiheit in Sachsen-Anhalt können kaum überschätzt werden. Die Existenz der kleinen CSDs in der Provinz ist in Gefahr, antirassistische Straßenfeste wie das in Salzwedel, die es so dringend braucht, sind in Gefahr. Antifaschistischem Protest werden Steine in den Weg gelegt. Und all das noch bevor die AfD in zwei-einhalb Jahren droht, auch hier einen Erdrutschsieg bei den Landtagswahlen einzufahren!

Als Antifaschist*innen, als Antirassist*innen, als queere Menschen und als Zivilgesellschaft in diesem Bundesland, die für die Verteidigung der Rechte auch der Marginalisierten einsteht, dürfen wir diese Angriffe auf die Versammlungsfreiheit nicht hinnehmen! Wir müssen uns wehren! Und genau deshalb erklären wir als Antifa-Bündnis unsere Solidarität mit dem CSD Stendal und allen anderen angegriffenen CSDs im Land!

In den kommenden Wochen und auch in der kommenden Saison wird es darum gehen, ob wir die Beschneidung unserer Rechte stillschweigend hinnehmen, oder ob wir uns zur Wehr setzen und die Entscheidungsträgerinnen im Land wissen lassen: Nicht mit uns! Nicht hier! Finger weg von der Versammlungsfreiheit! Antifas und Queers – Hand in Hand für die Verteidigung unserer Rechte!


Danke für eure Aufmerksamkeit.